Logo Heinrich Böll Stiftung Rheinland-Pfalz

Mit der Erklärung der Deutschen Phonoakademie zur Rücknahme der Nominierung der Band Frei.Wild vom ECHO, in der es heißt, man wolle diese Preisverleihung nicht „zum Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung werden lassen“ hatte die sogenannte „Frei.Wild-Debatte“ im Frühjahr 2013 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Während Kritiker_innen Frei.Wild vor allem einen heimattreuen „Blut und Boden“-Patriotismus vorwerfen und auf eine damit einhergehende Nähe der Band zu extrem rechten Szenen hinweisen, inszenieren sich Frei.Wild in der Öffentlichkeit fortgesetzt als vorgeblich „unpolitisch“ und wenden sich zugleich gegen jede Form des Extremismus. Mit ihrer konsequent demonstrierten Haltung, ehrliche und „handgemachte“ Rockmusik für einfache und ehrliche Fans zu machen gelingt es Frei.Wild offensichtlich, noch erfolgreicher zu sein als die Böhsen Onkelz, als deren Erben sie gehandelt werden. Doch ist Frei.Wild beileibe nicht die einzige deutschsprachige Band, die mit mehr oder weniger „rechtskonservative“ Sujets – getreu dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ – arbeitet. Vielmehr reicht das Spektrum von Bands, die in der Wahl ihrer Sujets sprichwörtlich „dem Volk aufs Maul schauen“ von eindeutig rechten Szenen über die sogenannte ‚Grauzone‘ bis hin zur vielzitierten sogenannten Mitte der Gesellschaft.

Die neue „Deutschrock”-Szene

Während der frühen 1980er Jahre waren die Böhsen Onkelz als klassische Oi!-Band Teil der sich immer weiter radikalisierenden rechten Skinhead-Szene und boten sowohl hinsichtlich ihres Auftretens als auch mit Blick auf die Wahl ihrer Themen etliche eindeutige Anknüpfungspunkte für die extreme Rechte. Nachdem sich die Band ab etwa 1986 sukzessive von der Skinhead-Szene löste und sich musikalisch in Richtung Hardrock orientierte, setzte mit zunehmendem kommerziellen Erfolg eine intensive Debatte um die neonazistische Frühzeit der Onkelz ein.

Obwohl die Onkelz sich öffentlich vom Neonazismus distanzierten und ihre Oi!-Phase als Jugendsünde bezeichneten, deren einziger Zweck die Lust an Provokation gewesen sei, wurde ihnen diese Distanzierung nur teilweise als glaubwürdig abgenommen, nicht zuletzt wohl deshalb, weil auch die ‚unpolitischen‘ Onkelz in ihren Songs weiterhin mit „wir-gegen-die“-Sujets arbeiteten.

Was von ihren Fans als ehrlich und authentisch bewertet wird, gilt ihren Kritiker_innen als konsequente Fortführung reaktionärer und ressentimentfördernder Einstellungen, wie sie sich in jüngerer Zeit bei zahlreichen Bands der neuen „Deutschrock“-Szene finden.

All diesen Bands ist gemeinsam, dass sie sich als „echt“ und „authentisch“ inszenieren, so als ob zwischen den realen Personen und den Figuren auf der Bühne keinerlei Unterschied bestehen würde. Dieses Ineinanderschieben von Person und Figur bewirkt, dass die entsprechenden Bands als besonders „ehrlich“ wahrgenommen werden, weil sie ganz offenbar singen, was sie „wirklich“ denken. Zugleich wird die Eigenschaft der Ehrlichkeit den Inhalten zugeschrieben, die vermittelt werden.

Die gängigsten Sujets der neuen Deutschrock-Szene verhandeln zumeist Themen wie „Freiheit, „Unabhängigkeit“, „ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, „man muss immer einmal mehr aufstehen als man zu Boden geht“, „Sieger stehen auf, nur Verlierer bleiben liegen“ oder ganz schlicht „die da oben–wir hier unten“.

Die Protagonisten der Songs sind in aller Regel weiße, starke und heterosexuelle Männer, die die Schwierigkeiten des Lebens mit einfachen Antworten lösen.

Insbesondere die immer wiederkehrenden „wir gegen die“-Konstruktionen verstärken Ressentiments gegenüber anderen („die“), zumal nie geklärt wird, wer zum „wir“ gehört und wer nicht.

Das Bedürfnis nach der gemeinsamen Identität eines „wir“ scheint jedenfalls vorhanden zu sein: Dass zahlreiche Fans von Frei.Wild in Internetforen und sozialen Netzwerken ihre Lieblingsband wieder und wieder mit der immer gleichen Argumentation gegen Kritik verteidigen, Patriotismus sei erstens kein Verbrechen und zweitens schon gar nicht Ausdruck einer rechtsradikalen Haltung, zeigt, dass die Band mit der Besetzung heimattreuer Sujets vorhandene Bedürfnisse nach kollektiver Identität zu bedienen weiß. Auf den ersten Blick ist der Begriff Heimat bei Frei.Wild ähnlich unscharf wie in der volkstümlichen Musik. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass in der volkstümlichen Musik der Heimatbegriff generell auf einen unkonkreten Ort verweist und diesen ebenso unkonkret zum träumerischen Fluchtpunkt romantischer Sehnsüchte macht. Frei.Wild hingegen stellen über wiederholt verwendete Schlüsselbegriffe wie Erbe, Tradition, Glaube und Brauchtum die Frage der genealogischen Herkunft (also der sogenannten „Abstammung“) ins Zentrum ihres Heimatbegriffes und knüpfen damit an „Blut und Boden“-Ideologien an.

Grauzone

Sogenannte „Grauzonen“-Bands hingegen sind in der Frage, wer dazu gehört und wer nicht, wesentlich eindeutiger: Hier bedeutet „wir“ die guten Deutschen, alle anderen aber sind „die“. Im Gegensatz zu eindeutig rechten Bands werden „die“ in der Grauzone jedoch eher zurückhaltend und sehr uneindeutig stigmatisiert und diffamiert. Stattdessen konzentrieren sich Grauzonenbands deutlicher auf das „wir“: An die Stelle rechtsradikaler NS-Verherrlichung treten hier Nationalismus und Patriotismus. Über die gängigen Sujets der neuen Deutschrock-Szene hinaus ist in der Grauzone die Forderung, endlich wieder stolz auf sein Land sein zu dürfen, das zentrale Thema schlechthin.

Durch die konsequente Ablehnung der deutschen Verantwortung für die Verbrechen des NS ergeben sich zugleich wieder etliche Anknüpfungspunkte zur extremen Rechten. Zahlreiche Bands der Grauzone, die sich genau wie Bands der Deutschrockszene vollkommen unpolitisch inszenieren, haben häufig keinerlei Probleme, mit rechten Bands zu kooperieren. Dies zeigt sich nicht nur an zahlreichen gut dokumentierten gemeinschaftlichen Auftritten bei einschlägigen Festivals, sondern auch an gemeinsamen Plattenaufnahmen.

Im Vergleich zum unklaren Heimatbegriff der neuen Deutschrockszene geht es der Grauzone um Deutschland als Vaterland, dessen nationales Erbe es zu bewahren und zu verteidigen gilt.

Dark Wave, Industrial und Neofolk

Im Unterschied zur scheinbar „ehrlichen“ neuen Deutschrock-Szene und zur Grauzone steht bei anderen ‚Grenzgängern‘ das Theatrale viel deutlicher im Vordergrund. Bands aus den Dark Wave-, Industrial- und Neofolk-Szene nutzen – jedenfalls vordergründig – Symbole und Zeichensysteme des NS als Mittel zur Inszenierung einer faschistoiden Ästhetik.

So verwenden Rammstein im Videoclip zu ihrem Song ‚Stripped‘ Filmausschnitte aus Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm „Fest der Völker“ und verwiesen Ende der 1990er Jahre auch in Sachen Styling mehr als deutlich auf die Bilderwelt des NS. Zugleich sind sowohl die Videos als auch die Konzerte von Rammstein derart deutlich als theatrale Inszenierung erkennbar, dass sich die Frage der „Authentizität“ so eigentlich nicht stellt: Die realen Personen spielen innerhalb des Gesamtkonzepts Rammstein Figuren, sie sind aber hinsichtlich der Inhalte und Einstellungen nicht notwendig als deckungsgleich zu verstehen. Aller Inszenierung zum Trotz hat aber auch Rammstein Fans in der extremen Rechten, die das Spiel mit Nazi-Ästhetik nach ihren eigenen Regeln deuten.

Bei Bands wie Rammstein stellt sich also weniger die Frage, ob die Mitglieder der Band Neonazis sind, sondern vielmehr, bis zu welchem Grad es vertretbar erscheint, mit NS-Ästhetik zu spielen. Ähnliches gilt auch für Dark Wave- bzw. Neofolk-Projekte wie Boyd Rice/NON, Death in June, Von Thronstahl oder Der Blutharsch. Deutlich exzessiver als Rammstein arbeiten diese mit allen nur denkbaren ästhetischen Versatzstücken aus Faschismus und Nationalsozialismus.

Im Unterschied zu Rammstein fällt bei diesen Projekten die Unterscheidung zwischen realen Personen und inszenierten Figuren wesentlich schwerer, und zwar gerade nicht, weil sie so „ehrlich“ wie in der neuen Deutschrockszene wären, im Gegenteil: Hier werden die inszenierten Figuren auf die realen Personen übertragen, indem die theatrale Inszenierung zum realen Alltag erklärt wird: Boyd Rice (NON), Douglas Pearce (Death in June), Josef Maria Klumb (Von Thronstahl) und Albin Julius (Der Blutharsch) treten auch im echten Leben als Verkörperungen ihrer inszenierten Figuren auf und suggerieren damit, sie seien „wirklich“. Doch obwohl sie das reale Leben derart konsequent faschistoid inszenieren, legen sie alle größten Wert auf die Feststellung, dass sie nicht rechts seien, sondern berufen sich stattdessen auf ihren Status als Künstler. Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen – haben diese Projekte zahlreiche Fans unter extremen Rechten, denen es offenbar letztendlich egal zu sein scheint, dass alles nur Theater ist, solange nur die vorgeführte Symbolik stimmt.

Erneut lautet die Frage also nicht, ob solche Projekte und Bands wirklich Neonazis sind oder zur extremen Rechten gehören, sondern was Kunst darf.