Rheinland-Pfalz ist das erste Bundesland mit einem „Grünen Ministerium“ für Aufenthaltsrecht und Flüchtlingsaufnahme. Über Gratwanderungen zwischen Willkommenskultur und Bleibepolitik.
Ein glanzvolles Wahlergebnis von 15 Prozent fuhren die Grünen in Rheinland-Pfalz 2011 ein. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hatte ihre Anti-Atom-Politik bestätigt. Auf Landesebene hatten sie den milliardenschweren Ausbau des Nürburgrings stets abgelehnt – auch das erwies sich als weitsichtig. Doch in den aktuellsten Umfragen sanken ihre Werte unter zehn Prozent. Am rechten Rand erstarkt die AfD. Wahlforscher trauen der Partei zu, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Die rot-grüne Koalition unter Malu Dreyer hat die Mehrheit verloren, in den Umfragen jedenfalls. Das Problem der Grünen: humane Flüchtlingspolitik ist kein Thema, das außerhalb der Kernklientel verfängt. Und Teile dieser Klientel haben die Grünen verprellt: dem Asylpaket I im Bundesrat zuzustimmen – musste das wirklich sein? Sind die Grünen als flüchtlingspolitisches Korrektiv noch ernst zu nehmen? Fragen im Vorfeld der Landtagswahl vom 13. März 2016.
Mainz im September 2015. Nach einem ökumenischen Gottesdienst von Protestanten, Katholiken und Orthodoxen im Dom, an dem auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer von der SPD teilnimmt, gehen Landespolitiker und Vertreter von Flüchtlingsorganisationen die paar Schritte zu Fuß zur Staatskanzlei. An diesem lauen September-Abend wird der Bundespräsident die Interkulturelle Woche eröffnen. „Das Herz ist weit, aber die Aufnahmekapazitäten sind begrenzt“, sagt Joachim Gauck dort zur Asylpolitik und widerspricht damit indirekt der Bundeskanzlerin.
Daniel Köbler, Fraktionschef der Grünen im Mainzer Landtag, hat das Pech, neben Siegfried Pick vom Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz zu laufen. Dessen Unmut über das Gesetzesvorhaben zur Beschleunigung des Asylverfahrens und dessen Enttäuschung über mangelnden grünen Widerstand gegen diese Pläne bekommt Köbler nun ab. Zwei Wochen vor der Abstimmung im Bundesrat ist das, unter anderem geht es darum, auch Kosovo, Montenegro und Albanien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären.
Die Grünen und die Flüchtlingsorganisationen sind sich im Prinzip einig: dieses Konzept taugt nicht, um Asylverfahren zu beschleunigen. Aber es sende ein ungutes Signal an diese Länder. „Macht mit den Roma, was ihr wollt, es ist den Deutschen egal“, laute dieses Signal, so bringt es ein Flüchtlingsberater auf den Punkt. „Ihr werdet doch wohl nicht zustimmen“, bearbeitet Ausländer-Pfarrer Pick den Grünen-Politiker Köbler. Der windet sich und murmelt, dass zum Asylpaket doch auch Finanzmittel für die Kommunen gehörten, die diese unbedingt bräuchten. Ein paar Tage später winkt die rot-grüne Regierung Dreyer das Gesetz im Bundesrat mit durch. Mit einer Protokollerklärung, in der sie unter anderem vom Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ abrückt. Im eigenen Bundesland macht Rot-Grün übrigens gar nicht Gebrauch von den Kann-Regelungen des Pakets: in Rheinland-Pfalz wird das Taschengeld nicht durch Sachleistungen ersetzt. Und die auf sechs Monate verlängerte Verweildauer in Erstaufnahmen wird bei weitem nicht ausgeschöpft.
Szenenwechsel. Blick in eine Erstaufnahme-Außenstelle: Die Zeltstadt für 640 Flüchtlinge am Flughafen Hahn im Hunsrück hat nur ein festes Gebäude: das einstige Einkaufszentrum für US-Militärs. Dort deutet eine syrische Mutter von fünf Kindern auf Babygläschen, Windeln und Schnuller in den improvisierten Regalen. Nicole Carl vom Deutschen Roten Kreuz reicht ihr, was sie braucht. Vieles davon haben Firmen der Erstaufnahme gespendet, anderes kauft das DRK von Geldspenden. „Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist riesig“, beobachtet Martin Maser, Geschäftsführer beim DRK Rhein-Hunsrück.
Die Frage „was kann ich für Flüchtlinge tun“ prägt auch die Einwohnerversammlungen, auf denen Behörden und Polizei über neu geplante Einrichtungen informieren. Vorbehalte können dort in der Regel durch sachliche Information entkräftet werden. Schnell formieren sich Netze von ehrenamtlichen Helfern, die Willkommens-Lobby in Rheinland-Pfalz wirkt gesellschaftlich breit verankert. Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen machen das Netz stabil.
Freundlich, zugewandt, wertschätzend - so nehmen viele Flüchtlinge das Personal der Hilfsorganisationen in den Massenunterkünften wahr. Nicole Carl fing als Ehrenamtliche im Sommer im Zeltcamp am Hahn an, jetzt hat sie einen Halbtagsjob beim Deutschen Roten Kreuz. „Ich bin sehr begeistert“, strahlt sie. „Es macht riesigen Spaß.“ Als Dolmetscher hilft ihr bei der Ausgabe der Hygiene-Artikel ein junger Syrer, ebenfalls aus dem Kreis der Flüchtlinge. Der verhinderte syrische Architekturstudent gehört zu den Ein-Euro-Kräften, die an vielen Stellen im Camp helfen, den Betrieb am laufen zu halten: beim Saubermachen, im Wäschedienst, im Fahrradverleih und der Fahrradwerkstatt. „Arbeiten ist viel besser, als nur zu warten“ sagt der 22-Jährige. Außerdem besucht er die Deutsch-Lektionen, die zwei Lehrerinnen vom DRK im Camp abhalten. „Es könnte mehr Unterricht sein“, meint Omar, kann aber nachvollziehen, dass durch die hohe Zahl von Flüchtlingen Vieles auf der Strecke bleibt.
Als Journalistin mit Flüchtlingen in einer Erstaufnahme frei reden zu können, ist übrigens keine Selbstverständlichkeit. Rheinland-Pfalz geht mit Presseanfragen unbürokratisch um, die Landesregierung vertraut dem Management der Hilfsorganisationen. Hessen verfährt dagegen restriktiv, angeblich zum Schutz der Flüchtlinge. Die allerdings sind den Medien gegenüber aufgeschlossen, sie suchen den Kontakt, auch um ihre Anliegen zur Sprache zu bringen. Mit am wichtigsten ist ihnen, dass sie nach der Registrierung schnell ihre Asylanträge einreichen können. Denn erst mit Antragstellung bekommen sie die Aufenthaltsgestattung, die zumindest denjenigen mit sicherer Bleibeperspektive ermöglicht, an Deutsch- und Integrationskursen teilzunehmen. Doch derzeit vergibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF Termine für die zweite Jahreshälfte 2016, ist zu hören.
Anfang Dezember geraten das Bundesamt, dessen Chef Frank-Jürgen Weise und Thomas de Maizière als zuständiger Bundesinnenminister von der CDU ins Kreuzfeuer der Kritik. Fehlende Personalaufstockung, unflexible Dienstpläne - so sei der Rückstau von Hunderttausenden Anträgen nicht abzuarbeiten, bemängeln zunächst die Innenminister der Länder auf ihrer Koblenzer Konferenz in parteiübergreifender Einigkeit. Die Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer stimmt in die Kritik ein.
Die grüne Integrationsministerin Irene Alt verzichtet dagegen aufs Schimpfen. Sie hatte gemeinsam mit ihrem Erfurter Parteifreund und Amtskollegen Dieter Lauinger knapp zwei Wochen zuvor schon konkrete Vorschläge aufgelistet, wie die Organisationskrise beim Bundesamt zu bewältigen sei. Verfahren zu vereinfachen statt sie - wie geplant - durch Einzelfall- und Dublin-Prüfungen weiter zu komplizieren, das favorisieren die beiden Grünen. Unter anderem: Kontingentlösungen einzuführen und allen, die seit zwei Jahren ergebnislos warten, einen Aufenthaltsstatus zu geben (Altfallregelung).
Eine lobenswerte Initiative, findet Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Er sieht sie allerdings in beiden Ländern konterkariert von den sozialdemokratischen Innenministern Lewentz und Poppenhäger, die gemeinsam mit den anderen Ressortchefs in Koblenz der Rückkehr zur Einzelfallüberprüfung für syrische Flüchtlinge zustimmten. Eine Zusatzaufgabe, die das ohnehin überlastete Bundesamt vollkommen lahmlegen wird - prognostiziert jedenfalls Pro Asyl. Und bemängelt, dass die Integrationsminister bei solch gravierenden Entscheidungen nicht einbezogen werden.
Noch sind Pro Asyl und andere verschnupft über die grüne Zustimmung zu Asylpaket I. Jetzt steht in ihren Augen der entscheidende Lackmustest an. In Rheinland-Pfalz fordern NGOs, dass die rot-grüne Landesregierung dem „erneuten Desintegrationsprogramm für Flüchtlinge“, dem sogenannten Asylpaket II, im Bundesrat die Zustimmung verweigert.
Den Familiennachzug auszusetzen und medizinisch begründete Abschiebehindernisse „faktisch zu beseitigen“, soll zu dem Gesetzesvorhaben gehören, über das die Große Koalition intern noch streitet. „Eine fortschreitende Entrechtung“ von Flüchtlingen sieht darin Roland Graßhoff vom Initiativausschuss für Migrationspolitik Rheinland-Pfalz. Der neuen Verschärfung des Asylrechts sollten die rheinland-pfälzischen Grünen Paroli bieten – notfalls auch in Abgrenzung zum Koalitionspartner SPD, verlangen Flüchtlingsorganisationen. Sie hoffen, dass die Grünen genau damit ihr humanitäres Profil im Landtagswahlkampf schärfen.
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