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Le(s)bensfacetten: Einblicke in lesbisches Leben weltweit

Autorin: Sarah Bast (Frauenzentrum Mainz)

„Und in einer Gesellschaft, die zu mindestens 90 Prozent aus Menschen besteht, die sich als heterosexuell bezeichnen – oft, ohne den Begriff überhaupt zu kennen –, wird auch derjenigen klar, die noch nie über das Thema nachgedacht hat: Ich bin Teil einer Minderheit. (…) Eine Minderheit, die für das Ausagieren ihrer Gefühle und ihres Begehrens in immerhin ungefähr einem Viertel der Länder dieser Welt ins Gefängnis kommen, körperlich misshandelt, ja sogar getötet werden kann.“

(Manuela Kay)

(Kay, Manuela: Lesbisch? Das sind immer die anderen! In: L’Amour LaLove: Selbsthass und Emanzipation, 2016, S. 144)

 

In diesem Zitat von Manuela Kay spiegelt sich unser Anliegen, eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel Le(s)bensfacetten zu organisieren, schon ziemlich gut wider: Lesben sind Teil einer Minderheit und aufgrund ihres Begehrens und ihrer Identität Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Es gibt oft wenig geschützte Räume, in denen sie über ihre Gefühle, ihre Zweifel und ihr Begehren reden können. Lesbischen Aktivistinnen, die auch die Frauenbewegung mitgetragen haben und tragen, ist es zu verdanken, dass wir in Deutschland lesbisch-feministische Strukturen haben, die es Frauen und Lesben ermöglichen, sichtbarer sein zu können – privat und politisch. Dass es um die Sichtbarkeit und die Rechte von Lesben in vielen anderen Ländern noch schlechter bestellt ist, heißt zum einen nicht, dass hier in Deutschland keine politischen Forderungen mehr notwendig sind und zum anderen heißt es auch nicht, dass wir einfach einen Einblick in lesbisches Leben weltweit geben wollten. Wir wollten lesbischen Aktivismus sichtbar machen, um Perspektiven zu erweitern, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im aktivistischen Vorgehen von Lesben und Feministinnen weltweit deutlich zu machen. Lesbische Kämpfe sind immer auch feministische Kämpfe, die sich für die Verbesserung der Lebensumstände und das Aufbrechen von konstruierten Geschlechterrollen für alle Frauen einsetzen, denn Lesben sind nicht nur aufgrund ihres sexuellen Begehrens diskriminiert, sondern immer auch wegen ihres Frauseins.

Die Reihe, die eine Kooperation von dem Frauenzentrum Mainz mit der Heinrich Böll Stiftung war, hat Filme und Gespräche umfasst, durch die wir einen Einblick in unterschiedliche gesellschaftspolitische Praktiken bekommen haben, die die Sichtbarkeit und das Selbstbewusstsein von Lesben stärken und fördern.

Mit Referentinnen aus China, Namibia, Ungarn und Polen haben wir über die Situation von Lesben in den jeweiligen Ländern gesprochen. Sehr oft ging es zunächst um die jeweilige rechtliche und gesellschaftliche Situation von Lesben und immer wieder auch um politische und persönliche Widerstandsstrategien und Möglichkeiten, als Lesbe selbstbewusst und ohne Scham in den vorgefundenen Lebensrealitäten leben zu können.

Mit He Xiaopei aus Peking haben wir darüber gesprochen, wie politisch verankerte heteronormative Strukturen unterwandert werden können. In ihrer Doku Our Marriages. When Lesbians Marry Gay Men gibt die Mitbegründerin des feministischen Pink Space Research Centres lesbischen Frauen eine Stimme. Sie reden über die Gründe, wieso sie Vertragsehen mit schwulen Männern eingegangen sind. Vertragsehen zwischen Lesben und Schwulen sind ein Symptom für die staatliche geforderte Heiratspflicht in China und machen nicht nur homofeindliche Strukturen sichtbar, sondern zeigen auch, dass unter dieser geforderten sozialen Norm alle – aber vor allem Frauen – zu leiden haben. In diesem Zusammenhang hat Frau He erzählt, dass sich auch heterosexuelle Frauen auf der Onlineplattform für Schwule und Lesben anmelden, um einen Vertragsehemann zu finden, weil der Druck zu heiraten auf alle Frauen immens ist.

Liz Frank hat einen Einblick in feministische und lesbische Organisationen und Projekte in Namibia gegeben, der sehr deutlich gemacht hat, wie notwendig Aufklärungsarbeit und Empowerment für heterosexuelle und lesbische Frauen ist. Sie lebt seit 1990 in Namibia und arbeitet dort im Women`s Leadership Centre (WLC). Ziel des WLC ist es, einen indigenen feministischen Aktivismus in Namibia zu entwickeln, der Frauen über ihre Rechte aufklärt und ihnen die Kraft gibt, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und selbstbestimmt leben zu können. Liz Frank arbeitet nicht nur im Women’s Leadership Centre in Windhoek/Namibia, sondern ist auch Mitgründerin und derzeitige Vorsitzende der Coalition of African Lesbians (CAL, Koalition afrikanischer Lesben). Sie hat mit uns über das lesbische Netzwerk gesprochen, dessen Selbstverständnis sich unter RALF zusammenfassen lässt. RALF steht für Radical Activism, Lesbian Feminists. CAL arbeitet intersektional und lesbisch-feministisch. Liz Frank hat betont, wie wichtig lesbische Schutzräume sind und hat an die frauenbewegten Frauen erinnert, die feministische Haltungen und Diskurse in Organisationen getragen haben, die überhört oder unsichtbar gemacht wurden und werden. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, dass es eine Organisation gibt, die sich auf internationaler politischer Ebene explizit und uneingeschränkt für die Rechte und Belange afrikanischer Lesben einsetzt.

Réka Farkas und Regina Sigmund haben über die Situation von Lesben in Ungarn gesprochen. Nach der Doku Secret Years, in der elf  lesbische Frauen verschiedener Generationen interviewt wurden, um über ihr Leben als lesbische bzw. frauenliebende Frau in Ungarn zu reden. Entstanden ist die Doku aus dem Bedürfnis heraus, Lesben in der ungarischen Gesellschaft sichtbarer zu machen und auch um ein Zeichen gegen Homofeindlichkeit zu setzen. Bei der Pride in Budapest 2008 ist es zu massiven Angriffen auf die Parade gekommen und die Teilnehmenden musste von der Polizei vor Stein- und Eierwürfen sowie verbalen und physischen Anfeindungen geschützt werden. Seitdem wir die Pride von juristische Beobachter_innen begleitet, um gewalttätige Übergriffe zu dokumentieren. Die Angriffe auf LSBTI sind ein Symptom des erstarkenden Konservatismus in Ungarn und wir haben über die Frage der Solidarisierung mit LGBTI in der Öffentlichkeit jenseits der LGBT-Community gesprochen. Seit 2010 bekommt bspw. die einzige lesbische Organisation Labrisz  keine staatlichen Fördergelder mehr und ist auf Förderung aus dem Ausland oder private Spendengelder angewiesen, um weiter arbeiten zu können.

Magda Wystub  hat durch ihren Film Yes, We Are und im Gespräch einen Einblick in feministische und lesbische Organisationen und Projekte in Polen gegeben, der sehr deutlich gemacht hat, wie notwendig gesellschaftliche Aufklärungsarbeit einerseits und Diskurse über Lesben und mögliche Widerstandsstrategien andererseits sind. Wichtige Aspekte, die sowohl im Film als auch im Gespräch erwähnt wurden, sind auch, dass es einer größeren Solidarität zwischen den verschiedenen Generationen bedarf. Lesben und Alter, Pflege und Gesundheit sind Themen, die nicht nur in Polen, sondern auch in der deutschen lesbischen Szene vielmehr ins Bewusstsein rücken müssten. Nach dem Film entstand eine rege Diskussion, in der vor allem die Notwendigkeit sozialer Bewegungen für gesellschaftlichen Wandel thematisiert wurde. Dass es in Polen kaum emanzipatorische Bewegungen mit größerem Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen gibt, liegt unter anderem daran, dass es kaum Fördergelder und öffentliche Räume gibt, an denen man sich treffen kann. Durch fehlende Räume verlagert sich viel des lesbischen Lebens ins Internet, wo es eher um Dating und Partys als um lesbisch-feministischem Aktivismus geht. Ein Hoffnungsschimmer ist der Protest, der aufgrund der Verschärfung des polnischen Abtreibungsrechts aufgekommen ist. Es bleibt zu hoffen, dass er Schwung gibt für eine sich entwickelnde soziale Bewegungswelle, die sich als progressives gesellschaftskritisches Sprachrohr etablieren kann.